Nein, wir doch nicht!
Nein, wir werfen uns sicher nicht ins absolute Touri-Getümmel, nur um irgendeinen Zug beim Vorbeifahren zuzuschauen!
Aha.
Geworden sind’s dann 4x.
In Worten: VIERMAL!
Freiwillig.
Wie konnte DAS passieren?
Komplett platt nach der 25 Stunden Sleeper Bus Fahrt beziehen wir unser Quartier.
Also, wenn man mal die winzige Gasse gefunden hat.
Die Häuser sind schmal, aber lang.
Daher fehlen oft die Fenster bei Hotelzimmern.
Wollen aber unbedingt ein Zimmer mit Fenster!
Genauer gesagt: ICH will unbedingt ein Zimmer mit Fenster.
Bei der Buchung Beschreibung und Fotos extra genau gecheckt!
Unser Zimmer hat auch eines.
In den Innenhof.
Also in den Lichtschacht.
Also in den überdachten Lichtschacht.
Denn sonst würde es den Angestellten in ihr Zimmer regnen.
Der Lichtschacht ist im Erdgeschoß als Angestellten-Zimmer umfunktioniert.
Bedeutet: Bett und Ventilator aufgestellt.
Ist auch gleichzeitig Lager für frische Bettwäsche und Handtücher.
Unser Zimmer mit dazugehörigem Fenster ist im 1. Stock.
Von fünf.
Die Sichtschutzfolie am Fenster hält das bisserl Licht, das sich von oben bis in den 1. Stock durcharbeitet, verlässlich ab.
Tageszeit oder Wetter lässt sich hier unten nicht mehr erahnen.
Man kann’s auch nur kippen.
Damit auch nur wenig der ohnehin stickigen Luft des Dunkel-Schachts ins Zimmer kommt.
Sorgt so für ein dampfig-feuchtes Mikroklima.
Licht an.
Ventilator an.
Lüfter im Bad an.
Klimaanlage an.
24/7.
Und:
Möglichst viel Zeit außerhalb des Zimmers verbringen.
Ziehen am 1. Morgen gleich nach dem Frühstück los.
Unter der Bahnbrücke durch.
Vorbei an der Prolo-Auto-Handwäsche-Station.
So geil.
Tatsächlich ein Range Rover mit goldenen Ornament-Felgen.
Und glänzend silberner Porsche SUV.
Und schon werden wir abgefangen.
Stufen führen zu den Bahngleisen rauf.
Eine Dame winkt.
„Coffee, coffee!!“
Nun, zugegeben, es ist nicht schwer uns zu Kaffee zu überreden.
Kurz nach 10 Uhr.
Oben checken wir erst, dass wir am Anfang der „Train Street“ gelandet sind.
Jener „Straße“, wo der Zug nach Sa Pa täglich 10x durchfährt.
7x fix.
3x „maybe“.
Breite der Straße:
Wagonbreite plus links und rechts 50cm.
Bei unserem ersten Besuch war’s noch alles Markt.
Gemüse, Obst, Blumen.
Auf den Gleisen ausgebreitet.
Jedes Mal weggeräumt, wenn der Zug durchfährt.
Heute:
Eine durchgehende Kette an Cafes, Bars, Restaurants.
Jedes Haus ein Lokal.
Nein, jedes Haus eine in ein Lokal umfunktionierte Wohnung.
Die private Küche ist gleichzeitig Bar und Küche des Restaurants.
Im hinteren Bereich Fernseher, Couch, Esstisch der Familie.
Seitlich an der Wand manchmal Platz für ein, zwei Mopeds.
Im WC stehen Zahnputzbecher und Duschgel.
Dusche über der Toilette.
Jede, wirklich JEDE Familie, die hier entlang der Strecke wohnt, hat ein Lokal aufgemacht.
Nichts anderes.
Dementsprechend aktiv akquirieren sie Kunden.
Highnoon der Akquise:
Eine halbe Stunde, bevor der Zug durchfährt.
Zumindest laut Fahrplan.
Ob wir unseren Vormittags-Kaffee irgendwo im Old Quarter nehmen oder hier, ist eigentlich auch egal.
Bevor die Zug-Action beginnt, sind wir wieder weg.
Folgen der Frau in ihr Café.
Ist das dritte Lokal gleich zu Beginn der „Train Street“.
Noch ist’s ruhig hier.
Um 10.00 sperren erst alle auf.
Zusätzlich es hat vor kurzem noch geregnet.
Also auch noch wenige Touristen und Straßenverkäufer.
Arno faltet sich auf den Kindersessel vorm Kindertisch.
Nein, sind natürlich nicht tatsächlich für Kinder gedacht.
Sind für Erwachsene.
Aber so groß wie Kindermöbel.
Warum überall in Streetfood Lokalen aber auch in normalen diese Mini-Möbel verwendet werden?
Noch keine offizielle Erklärung gefunden.
Meine Hypothese:
Brauchen weniger Platz.
So kannst du mehr aufstellen.
Und mehr Gäste unterbringen.
Ob das stimmt?
Keine Ahnung.
Aber Asiaten stopfen wirklich sehr gerne sehr, sehr viele Tische und Stühle in ihre Lokale.
Auch wenn trotz top laufenden Lokals nur bestenfalls ein Drittel der Plätze besetzt ist.
Aber theoretisch könnten mehr Gäste versorgt werden.
Mehr Umsatz gemacht werden.
Zwischen Café und Gleis ist auf alle Fälle nicht sehr viel Platz.
50cm oder so.
Arno verhandelt beinhart mit einem Vape-Straßenverkäufer.
„You my first customer today! I make you special price. For good start of day!“
Schätze, er hatte einen sehr guten Start in den Tag.
Kaffee ausgetrunken.
Wenn wir schon mal da sind, können wir ja ein bisserl die Gleise vor spazieren.
Die Train Street füllt sich mit Touristen.
Vorne bei der Straße ein großes Warnschild auf dem Absperrgitter:
DANGEROUS AREA!
Do not gather a crowd, take photos, videos.
Do not display chairs, tables and people on and along railroad tracks.
Kurz:
Nichts von dem machen, was sich gerade rund um uns abspielt!
Die Akquise der Lokale wird intensiver.
„Want see train?“
„Coffee?“
„Train in 20 minutes!!“
Hm, in 20 Minuten?
Najaaaaa ….
Wenn wir schon mal da sind …
Und schon sitzen wir im Mezzanin einer Bar.
Fühle mich von meinem Kokosnuss-Drink beobachtet.
10 Minuten vergehen.
Nichts passiert.
Alle Tische und Sessel sind noch halb auf den Gleisen.
Dazwischen weiterhin reges Treiben.
Die Akquisiteure schaufeln Leute in die Lokale.
Weitere 10 Minuten vergehen.
Jetzt sollte eigentlich der Zug durchfahren.
Nix.
Vorne am Bahnübergang fahren Autos, Mopeds, Fahrräder weiter munter über die Gleise.
Schranken weit geöffnet.
Ein Mann, den wir für den Bahnwärter halten, schlendert von Lokal zu Lokal.
Sollen wir wieder gehen?
Aber jetzt haben wir schon so lange gewartet.
5 Minuten später kommt Bewegung in die Szene.
Erste Pfiffe ertönen.
Letzte Touristen werden auf die Terrassen der Lokale gelockt.
Der Verkehr vorne fährt unbeeindruckt weiter.
Nochmal 10 Minuten später.
Weitere Pfiffe.
Diesmal senken sich auch die Schranken!!
Wird’s tatsächlich ernst?
Noch schlängeln sich Mopeds zwischen den geschlossenen Schranken durch.
Die Angestellten der Lokale sind auch noch auf den Gleisen unterwegs.
Die meisten Touristen sitzen mit Smartphones gezückt und schauen wie beim Tennis von links nach recht.
Woher kommt der verdammte Zug?
Und WANN endlich?!
Hab schon fast einen Krampf in der Hand vom Handy halten.
SCHUUUUUU SCHUUUUU!!!
Da!
Ein lautes Tröten einer Lok!!
Jetzt hüpfen alle hinter die Gleise.
Manch ein zu weit hinausgestreckter Touristen-Kopf wird wieder in die sichere Zone geschoben.
Mehr laut als schnell biegt der Zug um die Ecke.
Puh, viel Platz ist tatsächlich nicht zwischen Wagon und Häusern.
Bin ganz froh, dass wir erhöht sitzen.
Die enge Gasse dröhnt.
Die Wände vibrieren.
Klassischer Zug-Sound.
TOTOK – TOTOK – TOTOK ….
2 Minuten lang.
Dann verschwindet der letzte Wagon in der Kurve.
Merke, dass mein Puls schon schneller geschlagen hat!
Unten breitet sich alles sekundenschnell wieder auf die Gleise aus.
Die Bahnschranken öffnen sich langsam.
Die Mopeds quellen schon unten durch.
War schon ein Erlebnis!
Denken einmal Zug schauen genügt.
Haben aber nicht mit uns selbst gerechnet.
Am Abend auf der Suche nach einem Gin Tonic landen wir wieder auf den Gleisen.
So ein Zufall:
Wieder 20 Minuten bevor der Zug kommt.
Diesmal aber UNTEN sitzen.
Direkt dort, wo der Zug vor der Nase vorbei fährt.
Leben am Limit!
Uff.
Wenn kaum einen Meter entfernt auf Augenhöhe diese riesigen Zugräder vorbei rattern.
Du das „TOTOK – TOTOK – TOTOK“ im Brustkorb spürst.
Hey, wer ist da nicht beeindruckt???
Ob’s auch ein bisserl süchtig macht?
Hm.
Kann auch Fügung gewesen sein, dass wir am nächsten Abend wieder bei einem Drink in der Train Street sitzen.
Denn:
Zug-Jackpot!
Nur 20 Minuten nach dem ersten, fährt noch der Zug in die Gegenrichtung durch!!
Jetzt haben wir wirklich ALLE Zug Varianten gesehen!
Tag.
Nacht.
Von links nach recht.
Von rechts nach links.
Vier gewinnt!